Vorsicht bei „Pflichtteilsvermächtnissen“
In einigen Testamenten finden sich Formulierungen wie: „Wir vermachen unserem Sohn einen Geldbetrag in Höhe unseres Pflichtteilsanspruches“ oder „Unsere Tochter soll ihren Pflichtteil erhalten“. Hintergrund dieser Regelungen ist zumeist, dass das erwähnte Kind nicht Erbe, also nicht verantwortlicher Rechtsnachfolger des Erblassers, werden soll, aber irgendwie auch nicht unerwähnt bleiben soll. Für die Höhe des Anspruches des nicht als Erbe eingesetzten Kindes macht es keinen Unterschied, ob es gar nicht erwähnt wird oder testamentarisch verfügt wird, dass es seinen Pflichtteilsanspruch erhalten soll.
Allerdings sollte sich der Pflichtteilsberechtigte gut überlegen, ob er das grundsätzlich wohl gut gemeinte Vermächtnis annimmt, oder doch lieber darauf verzichtet und seinen Pflichtteilsanspruch geltend macht. Tatsächlich besteht der Anspruch zwar in gleicher Höhe, d.h. die Quote entspricht der Pflichtteilsquote – die Auskunftsansprüche des Pflichtteilsberechtigten gehen jedoch weiter und umfassen u.a. das Recht, die Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses zu verlangen und bei der Aufnahme dieses Verzeichnisses zugegen zu sein. Nimmt der Pflichtteilsberechtigte das Vermächtnis an und macht diesen Anspruch geltend, schneidet er sich, so entschied es kürzlich das OLG München (Beschluss v. 21.11.2022 Az. 3 U 2216/22), die dem Pflichtteilsberechtigten zustehenden Auskunftsansprüche ab. Dem Vermächtnisnehmer ist lediglich ein einfaches Nachlassverzeichnis zu erteilen. Damit besteht zwar der Anspruch in Höhe der Pflichtteilsquote, das Nachlassverzeichnis ist aber unter Umständen nicht mit der gleichen Sorgfalt erstellt worden, so dass die Berechnungsgrundlage nicht die gleiche ist. So kann es unter Umständen zu einer Schlechterstellung des Pflichtteilsberechtigten bei Annahme des Vermächtnisses kommen.
Wichtig ist daher sowohl bei der Konstruktion des Testaments als auch bei Geltendmachung testamentarischer Ansprüche rechtzeitig fachkundige Hilfe in Anspruch zu nehmen.