4. Juni 2020

Vor- und Nacherbschaft oder doch Allein- und Schlusserbschaft?

Was ist eigentlich was und welche Variante hat welche Vor- und Nachteile?

Immer wieder lesen Erbrechtler in handschriftlichen Testamenten folgende Formulierungen:

„Wir setzen und gegenseitig zu Alleinerben ein, Nacherben nach dem Tod des Längstlebenden sind unsere gemeinsamen Kinder.“ Oder:

„Der Erstversterbende von uns ist befreiter Vorerbe, er ist in seiner Verfügung über den Nachlass frei. Schlusserben des Längstlebenden sind unsere gemeinsamen Kinder.“

Beider Formulierungen klingen gut, sind in sich aber widersprüchlich.

Vor- und Nacherbschaft

Vor- und Nacherbschaft können immer nur gemeinsam angeordnet werden, ohne Vorerbe kein Nacherbe und umgekehrt. Das ist auch einleuchtend, wenn man weiß, was die Begriffe tatsächlich bedeuten: Bei der Anordnung der Vor- und Nacherbschaft erhält der Vorerbe den Nachlass nur vorübergehend, schon mit dem Tod des Erblassers steht fest, dass der Vorerbe den Nachlass des Erblassers mit dessen Tod (üblicherweise, andere Zeitpunkte aber denkbar) an die Nacherben herausgeben muss. Der Nachlass geht nicht in das Vermögen des Erblassers über, sondern ist davon getrennt zu verwalten.

Allein- und Schlusserbschaft

Bei der Allein- und Schlusserbschaft hingegen wird mit dem Tod des Erblassers nur der Alleinerbe sicher Erbe. Der Nachlass geht in das Vermögen über und bildet mit dem Hab und Gut des Erben eine gesamte Vermögensmasse. Wer Schlusserbe wird, steht mit dem Tod des erstversterbenden Ehegatten nur dann sicher fest, wenn das gemeinschaftliche Ehegattentestament bindend geworden ist und auf etwaige Anfechtungsrechte verzichtet wurde.

Vor- und Nachteile

Auf den ersten Blick klingt für die meisten das Konstrukt der Vor- und Nacherbschaft genau nach der gewünschten Erbfolge. Dabei werden die Nachteile übersehen: Der  Vorerbe kann nur eingeschränkt über den Nachlass verfügen, der Nacherbe kann vom Vorerben regelmäßig einen Bericht über den Nachlass verlangen, die Trennung der Vermögensmassen muss strikt eingehalten werden und sollten unvorhergesehene Umstände bei den Nacherben (z.B. Krankheit, Insolvenz, Bezug von staatlichen Leistungen) eintreten, kann der Vorerbe hierauf nicht mehr reagieren.

Bei der Anordnung von Alleinerbschaft und Schlusserbfolge ist der überlebende Ehegatte, wie in der Regel gewünscht, tatsächlich frei zu Lebzeiten über den Nachlass zu verfügen. Bei entsprechender Konstruktion des Testaments kann der Längstlebende auch auf die oben beispielhalber dargestellten Umstände reagieren und das Testament ändern.

Wann macht die Anordung von Vor- und Nacherbfolge Sinn?

Wesentliche Anwendungsbereiche für Vor- und Nacherbfolge sind Testamente in Patchworkfamilien, und Bedürftigentestamente.

In Patchworkfamilien stellt sich häufig eine Pflichtteilsproblematik. Erbt Ehegatte A von B uneingeschränkt, geht der Nachlass des B in das Vermögen von A über. Stirbt A haben die Abkömmlinge von A auch Anspruch auf den Nachlass von B. Ist das Verhältnis zwischen B und den Kindern des A schwierig, ist diese Rechtsfolge häufig nicht gewünscht. Hier hilft die Vor- und Nacherbfolge, weil das Vermögen nicht in das Vermögen des Vorerben über geht, sondern mit dessen Tod dann an die Nacherben, z.B. die Kinder des B.

Beziehen die Erben staatliche Leistungen, möchten die Erblasser den Nachlass in der Regel vor dem Zugriff des staatlichen Leistungsträgers schützen. Ziel ist es, dem Erben neben den staatlichen Leistungen die Erbschaft zukommen zu lassen. Auch das lässt sich mit der Vor- und Nacherbfolge erreichen, wenn diese mit der Anordnung einer Testamentsvollstreckung kombiniert wird.

Nachteile bei Verwendung eigener Formulierungen

Die Anordnung der Vor- und Nacherbfolge hat völlig andere Rechtsfolgen als die Anordnung von Allein- und Schlusserbschaft. Werden daher Testamente eigenhändig wie oben formuliert, stellt sich nach dem Tod im Erbscheinverfahren die Frage: Was war gemeint? Nicht selten ist dann der längerlebende Ehegatte plötzlich Vorerbe mit den diesbezüglichen Verfügungsbeschränkungen, obwohl eigentlich die Alleinerbschaft gemeint war. Um dies zu vermeiden, empfiehlt es sich, sich bei der Errichtung des Testaments fachkundig beraten zu lassen.