8. Juli 2020

Leben ist kein Schaden

Kein Schadenersatz und Schmerzensgeld wegen Durchführung lebensverlängernder Maßnahmen

Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte sich mit der Frage zu befassen, ob sich ein Arzt  Regressansprüchen der Erben seines verstorbenen Patienten aussetzt, wenn er diesen gegen den Willen der Angehörigen durch Zufuhr künstlicher Ernährung lange Zeit weiter behandelt und am Leben erhalten hat. Nein, sagt der BGH (Urteil v. 02.04.2019 – Az.: VI ZR 13/18).

Regressansprüche der Erben gegen den behandelnden Arzt?

Im entschiedenen Fall hat der Kläger als Sohn und Alleinerbe seines 2011 verstorbenen Vaters den behandelnden Arzt als Beklagten in Anspruch genommen. Der Vater, welcher keine Patientenverfügung errichtet hatte, litt an Demenz und weiteren Beschwerden. Vor dem Hintergrund seiner Erkrankung stand er unter Betreuung. Im Jahre 2006 war ein stationärer Aufenthalt erforderlich. Seither wurde er mit Einwilligung des vom Gericht bestellten Betreuers künstlich ernährt und befand sich durchgehend in klinischer Betreuung. Im Laufe der Zeit traten weitere Beschwerden hinzu. Mehrere Lungenentzündungen mussten behandelt werden. Im Oktober 2011 verstarb der Vater des Klägers im Krankenhaus.

Künstliche Ernährung als Verletzung des Persönlichkeitsrechts?

Der Kläger meinte, sein Vater hätte jedenfalls seit 2010 nicht mehr künstlich ernährt werden dürfen. Die Maßnahme habe allein zu einer Verlängerung seines Leidens ohne Aussicht auf Besserung seines gesundheitlichen Zustandes geführt. Er sah die Behandlung als rechtswidrig an und forderte Schmerzensgeld wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechtes seines Vaters sowie Ersatz der Behandlungs- und Pflegekosten.

BGH: Leben kein Schaden

Der BGH folgte ihm nicht. Er entschied sich mit seinem Urteil klar zugunsten des Lebens. Es „verbiete sich, das Leben als Schaden anzusehen“. Das menschliche Leben sei ein höchstrangiges Rechtsgut und absolut erhaltungswürdig. Selbst wenn ein Patient sein Leben als lebensunwert empfinde, stehe keinem Dritten das Urteil über den Wert seines Lebens zu. Aus Sicht des BGH falle die Abwägung zwischen dem Tod als zwangsläufige Folge des Behandlungsabbruchs und dem Weiterleben, und zwar auch mit krankheitsbedingten Leiden, eindeutig aus. Damit bestehe ein Anspruch mangels Schadens nicht.

Fazit: Patientenverfügung erforderlich

Die Entscheidung zeigt mit aller Deutlichkeit auf, dass und weshalb eine Patientenverfügung so sinnvoll ist. Wer gern selbstbestimmt sterben möchte und verhindern will, dass lebenserhaltende Maßnahmen durchgeführt werden, muss eine Patientenverfügung errichten. Wer die oben skizzierte Abwägung nicht den Gerichten überlassen, sondern selbst treffen will, benötigt eine Patientenverfügung. Damit gibt er auch seinen Vertrauten ein Instrument an die Hand, später seinen Willen durchzusetzen.

Eine Patientenverfügung ist eine für alle Beteiligte wie Ärzte, Betreuer, Bevollmächtigte usw. bindende Anordnung über zu ergreifende oder zu unterlassende medizinische Maßnahmen. Sie gilt für den Fall, dass der Patient – sei es durch Krankheit oder Unfall – nicht mehr in der Lage ist, selbst eine Entscheidung zu treffen oder seinen Willen kundzutun. Die Patientenverfügung sollte möglichst konkret ausgestaltet sein. Es ist darauf zu achten, dass sie in sich stimmig und klar ist.

Es bietet sich an und ist zu empfehlen, sich bei Errichtung einer Patientenverfügung fachkundig beraten zu lassen. Man sollte sich frühzeitig mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Auch junge Menschen sind vor Krankheit und Unfall nicht gefeit.

Haben Sie Fragen zu dem Thema oder benötigen Hilfe bei der Abfassung einer solchen Patientenverfügung, kommen Sie gern auf uns zu.