Corona – Ein Imageschaden für die Versicherungswirtschaft?
Um einen schlechten Ruf zu bekommen, braucht es keine (Versicherungsnehmer-) Anwälte. Dies schaffen viele Versicherungen ganz alleine
Auch die aktuelle Corona-Krise offenbart, dass manche Versicherer genau das erfüllen, was ein großer Teil der Bevölkerung erwartet. Sie lehnen die Leistungen ab. Es mag zuzugeben sein, dass es natürlich viele Fälle gibt, in denen tatsächlich kein Anspruch auf Versicherungsleistungen besteht. Aber leider ist die Fallzahl, in denen berechtigte Ansprüche abgelehnt werden, ebenfalls sehr hoch.
Insofern könnte man sagen, dass Corona keine Besonderheiten bringt, die Versicherungen machen weiter wie eh und je. Gleichwohl droht der Versicherungswirtschaft derzeit ein noch größerer Imageschaden.
Hintergrund ist die sog. Betriebsschließungsversicherung, die – je nach Vertragslage – auch Versicherungsleistungen verspricht, wenn der Betrieb aufgrund behördlicher Anordnung nach dem Infektionsschutzgesetz schließen muss. Hieraus folgt ein Gewinnverlust bei fortlaufenden Kosten. Es gibt Produkte, die dieses Risiko abdecken (sollen).
Und auch hier gibt es sie – Versicherungen, die schlicht und einfach die vertraglich vereinbarten Leistungen erbringen. Viele verweigern sich jedoch und favorisieren stattdessen die sog. „bayerische Lösung“, wonach pauschal 15% des Schadens ersetzt werden sollen. Schelm, wer dabei Böses denkt.
Die Argumente der betreffenden Versicherungen sind kreativ, nach unserer Auffassung im Ergebnis aber falsch.
Argument 1:
Das Coronavirus (Covid-19) sei nicht vom Versicherungsschutz umfasst, weil es nicht in § 6 des Infektionssschutzgesetzes genannt werde.
Hintergrund: in etlichen Bedingungswerken wird mehr oder weniger konkret auf die gesetzliche Regelung des Infektionsschutzgesetzes verwiesen, teilweise auch der Wortlaut auszugsweise zitiert.
Die Versicherungen verkennen hierbei aber zweierlei:
Da zumeist nicht auf eine bestimmte Gesetzesfassung verwiesen wird, dürfte es sich um eine dynamische Verweisung handeln, so dass stets der jeweils aktuelle Gesetzesstand zu berücksichtigen sein dürfte. Darüber hinaus stellt die Wiedergabe des Gesetzeswortlauts nach unserer Rechtsauffassung keine abschließende vertragliche Reglung dar, sondern vielmehr eine rein deklatorische Klausel, die keinen eigenen Regelungsgehalt hat. Ohnehin wären Versicherungsbedingungen aus Sicht des Versicherungsnehmers auszulegen, wenn diese nicht ganz eindeutig formuliert sind. All dies spricht gegen das Argument der Versicherer.
Weiter ignorieren Versicherungen, dass das Coronavirus sehr wohl vom Infektionsschutzgesetz erfasst wird, selbst wenn es nicht in der Aufzählung des § 6 enthalten ist. Denn gemäß § 15 Abs. 1 des Infektionsschutzgesetzes ist das Bundesministerium für Gesundheit ermächtigt, durch Rechtsverordnung die Meldepflicht für die in den §§ 6 und 7 zu erweitern. Dies ist vorliegend geschehen durch die Verordnung über die Ausdehnung der Meldepflicht nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und § 7 Abs. 1 S. 1 des Infektionsschutzgesetzes auf Infektionen mit dem erstmals im Dezember 2019 in Wuhan/Volksrepublik China aufgetretenen neuartigen Coronavirus („2019-nCoV“); der sog. CoronaVMeldeV vom 30.01.2020.
Argument 2:
Der Versicherungsschutz greife nur, wenn eine Gefahr von dem Betrieb selbst ausgehe. Dies sei hier nicht der Fall, weil die Schließung von Hotels und Gastronomie nur vorsorglich in der Breite erfolgt sei.
In den uns bisher bekannt gewordenen Bedingungen findet dies aber keinerlei Grundlage. Voraussetzung ist allein, dass der Betrieb zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern schließt. Eine vom Betrieb ausgehende, konkrete Gefährdung in dem Sinne, dass sich beispielsweise ein Mitarbeiter infiziert habe, ist nach diesen Bedingungen nicht erforderlich.
Unserer Kanzlei wurden sogar interne Unterlagen einer Versicherungsgesellschaft zugeleitet, mit denen die Vertriebsmitarbeiter, Versicherungsvermittler und –makler in diese Richtung „geschult“ werden, um den anspruchsstellenden Kunden gleich den Wind aus den Segeln nehmen zu können und sie so zur Annahme der „bayerischen Lösung“ zu gewinnen.
Unser Meinung nach läuft dies auf einen vorsätzlichen Vertragsbruch hinaus. Anstatt den Kunden die vereinbarte Versicherungsleistung angedeihen zu lassen, wird versucht, sie mit 15% „abzuspeisen“. So jedenfalls dürfte es ein Versicherungsnehmer interpretieren, der nach Lektüre seines Versicherungsvertrags von der Leistungspflicht des Versicherers ausgeht und dann solche Argumente nebst Angebot erhält, 15% des Schadens zu erhalten.
Insofern sollten betroffene Versicherungsnehmer sehr sorgfältig prüfen, ob sie das „Angebot“ der Versicherung annehmen wollen. Lassen Sie sich auch nicht durch eine Bindungsfrist des Versichers unter Druck setzen. Wir prüfen gerne Ihre Vertragsunterlagen darauf, welche Versicherungsleistungen Ihnen zustehen.
Vor allem sollten auch die betreffenden Versicherungen für sich entscheiden, ob es sich lohnt, einen derartigen Imageschaden zu riskieren. Schließlich besteht die Gefahr, dass die gesamte Versicherungswirtschaft in Verruf gerät, weil einzelne Versicherer ihren Gewinn maximieren wollen. Insofern würde der schlechte Ruf ungerechterweise auch diejenigen Versicherer erfassen, die ordnungsgemäß und korrekt in die Regulierung eintreten oder sogar schon eingetreten sind.