11. September 2020

Verkehrsrecht: Kosten des Mietwagens und Nutzungsausfall

Hat der Geschädigte das Recht, die Erstellung eines Sachverständigengutachten abzuwarten?

Nach einem Unfall kann der Geschädigte einen Sachverständigen seiner Wahl mit der Feststellung der Schadenshöhe beauftragen (sofern es sich nicht ersichtlich um einen Bagatellschaden handelt). Ist das beschädigte Fahrzeug nicht mehr verkehrssicher oder fahrfähig oder handelt es sich voraussichtlich um einen Totalschaden, so hat der Geschädigte nicht nur für die Dauer einer Reparatur, sondern auch für die Zeit zwischen dem Unfall und der Vorlage des Gutachtens Anspruch auf einen Mietwagen oder eine Nutzungsausfallentschädigung. Dem Geschädigten steht nach Vorlage des Gutachtens auch eine kurze Überlegungszeit von maximal 3 Tagen zu. Entsprechend groß ist das Interesse der Versicherer, dass die Reparatur möglichst schnell beginnt.

Während Versicherer sich selbst oft wochenlang Zeit lassen, um ein Gutachten zu prüfen und über ihre Regulierung zu entscheiden, erwarten sie in Einzelfällen, dass der Geschädigte die Ergebnisse beim Sachverständigen direkt nach der Besichtigung mündlich abfragt, um den Nutzungsausfall gering zu halten. Darauf muss sich der Geschädigte aber nicht einlassen. Er darf die Vorlage des schriftlichen Gutachtens abwarten.

Das OLG Bamberg hat in seiner Entscheidung vom 25.08.2020, Az. 5 U 118/20, über folgenden Sachverhalt zu entscheiden: Nach dem Unfall hat der Geschädigte einen Sachverständigen mit der Erstellung eines Schadengutachtens beauftragt. Jedoch war die erste Besichtigung des beschädigten Pkw nicht ausreichend, eine Nachbesichtigung war erforderlich. Danach dauerte es noch sechs Tage, bis das Gutachten vorlag. Der Versicherer war der Auffassung, dass der Geschädigte noch am Tag der Nachbesichtigung die Ergebnisse hätte mündlich abfragen müssen.

Das OLG gab dem Geschädigten Recht: Der Zeitraum war nicht zu beanstanden, eine Pflicht des Geschädigten, beim Sachverständigen nachzufassen, sah es nicht. Im Übrigen ist es dem Geschädigten auch nicht zuzumuten, sich auf Grundlage mündlicher Informationen des Sachverständigen zu entscheiden, ob und wie er reparieren möchte.

Der Geschädigte darf das Gutachten auch dann abwarten, wenn ein Totalschaden naheliegend ist. Aus dem Gutachten ergibt sich einerseits, ob eine Reparatur doch noch möglich ist, bzw. wie hoch der Wiederbeschaffungswert ist. Erst dann kann der Geschädigte seinen finanziellen Spielraum für eine Ersatzbeschaffung berechnen und sich um ein Ersatzfahrzeug kümmern.

Nach einem Unfall empfiehlt es sich angesichts der teilweise recht komplexen Fragestellungen, von vornherein einen Rechtsanwalt mit der Durchsetzung Ihrer Ansprüche zu beauftragen.

 

Timm Schmoock

Rechtsanwalt und

Fachanwalt für Verkehrsrecht