Gilt Rückwärtsfahren als „Schieben“? – Unfall mit Anhänger-Gespann
In der Beratung meiner Mandanten lasse ich mich regelmäßig zu der süffisanten Bemerkung hinreißen, dass Versicherer im Allgemeinen recht kreativ dabei sind, Gründe dafür zu finden, keine Versicherungsleistungen erbringen zu müssen.
Eine jüngere Entscheidung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 14.11.2023, Az. VI ZR 98/23) lässt uns an einem Fall teilhaben, in dem zwei Versicherer miteinander im Streit standen und dabei eine ebenfalls kreative Argumentation bedienten.
Wenn zwei Versicherer sich streiten
Ein Fahrzeug samt Anhänger rangierte rückwärtsfahrend und beschädigte dabei ein anderes Fahrzeug. Der Anhänger war bei einer anderen Versicherungsgesellschaft haftpflichtversichert als das Zugfahrzeug. Die Haftpflichtversicherung regulierte den Schaden des Geschädigten, verlangte sodann aber von der Haftpflichtversicherung des Anhängers die Hälfte der Aufwendungen ersetzt – im Rahmen des sog. Gesamtschulderinnenausgleichs.
Die Karlsruher Richter bestätigten die Auffassung des Berufsgerichts, wonach das Zugfahrzeug und der Anhänger ein Gespann darstellen, so dass eine Mehrfachversicherung gemäß § 78 VVG i.V.m. § 19 StVG vorliege.
Nach § 19 Abs. 4 StVG haftet im Innenverhältnis der Versicherer des Zugfahrzeugs, es sei denn, dass sich durch den Anhänger eine höhere Gefahr verwirklicht hat als durch das Zugfahrzeug allein. Das Ziehen des Anhängers allein verwirklicht jedoch im Regelfall keine höhere Gefahr (§ 19 Abs. 4 Satz 4 StVG).
Ist Rückwärtsfahren ein „Ziehen“?
Die klagende Haftpflichtversicherung stellte sich auf den Standpunkt, dass die Privilegierung hier nicht greife, da der Fahrer rückwärtsgefahren sei und dies gerade kein „Ziehen“ darstelle, sondern ein „Schieben“. Zudem habe sich durch das Rückwärtsrangieren eine höhere Gefahr verwirklicht.
Diesem Ansinnen erteilte der BGH jedoch eine ausdrückliche Absage. Auch das Rückwärtsfahren mit einem Anhänger stelle ein „Ziehen“ im Sinne des § 19 Abs. 4 StVG dar. Diese Begriffsverwendung entspreche der Legaldefinition in § 19 Abs. 1 Satz 1 StVG („“[…] eines Anhängers, der dazu bestimmt ist, von einem Kraftfahrzeug (Zugfahrzeug) gezogen zu werden […]““). Die Vorschrift des § 19 Abs. 1 StVG erfasse unabhängig von der Fahrtrichtung jede Bewegung des Anhängers (d.h. auch das Rückwärtsschieben) durch das Zugfahrzeug. Ob der Anhänger beim konkreten Haftpflichtgeschehen gezogen oder geschoben (z.B. während eines Rangiervorganges) werde, sei nicht relevant. Entscheidend sei allein seine abstrakte Bestimmung, prinzipiell an ein Kraftfahrzeug angehängt zu werden.
Auch eine höhere Gefahr durch das Rückwärtsrangieren bestätigte das Gericht nicht. Zwar treffe es zu, dass ein Gespann länger und unübersichtlicher sei, als nur das Zugfahrzeug. Dies allein sei jedoch nicht ausreichend. Unter Verweis auf die Gesetzesbegründung verlangt der Bundesgerichtshof, dass „der Anhänger im Einzelfall aufgrund seiner außergewöhnlichen Beschaffenheit (Überlänge, Überbreite, Schwertransporter etc.) eine besondere Gefahr darstellt“ oder der verbundene Anhänger einen technischen Defekt aufweist. Hierfür gab es indes keine Anhaltspunkte.
Im Ergebnis musste die Haftpflichtversicherung des Zugfahrzeugs den Schaden allein tragen und konnte sich bei der Versicherung des Anhängers nicht anteilig schadfrei halten.
Lehrreich auch für Geschädigte
Für Geschädigte ist diese Entscheidung insoweit lehrreich, weil sie praxisrelevante Abgrenzungskriterien darstellt, welche von mehreren Versicherungen auf Schadensersatz in Anspruch zu nehmen ist. „